
Welche SEILE zum Industrieklettern – Ein Überblick
Industriekletterer, die täglich in schwindelerregenden Höhen arbeiten, wissen die Bedeutung eines guten Seils zu schätzen. Ihre Sicherheit hängt von der Qualität und korrekten Verwendung der Seile ab. Auch für andere Höhenarbeitsprofis wie Dachdecker, Gerüstbauer oder Fassadenreiniger sind zuverlässige Seile ein Muss.
Doch worauf kommt es bei der Wahl des richtigen Seils an? Welche Arten von Seilen nutzen wir und für welche Tätigkeiten sind sie geeignet? In diesem Blog für Beginner steigen wir mit einem Fuß in die Welt der Seile ein, orientieren uns, und entdecken, worauf es bei der Seilwahl grundlegend ankommt. Los geht’s!
Industrieklettern – ein redundantes Arbeitsverfahren
Im Gegensatz zu Sportkletterern nutzen Industriekletterer zwei Seile, ein Seil dient dabei als „Tragseil“ und ein Seil als „Sicherungsseil“. Während das Tragseil das Gewicht des Kletterers „trägt“, dient das Sicherungsseil, zu dem der Kletterer über die Gurtöse eine Verbindung via Falldämpferpaket und mitlaufendem Sicherungsgerät aufbaut, als Zweitsicherung. Sollte also ein Seil versagen, so würde immer noch ein tragfähiges Seil ein Abstürzen des Industriekletterers verhindern. Deshalb spricht man bei der Seilzugangs- und Positionierungstechnik (gemein Industrieklettern) auch von einem redundanten Zugangsverfahren. Das Arbeiten innerhalb dieses redundanten Systems macht das Industrieklettern zu einem relativ sichern Betätigungsfeld.
Kernmantelseile: Der Goldstandard für Höhenarbeiten
Wenn es um Seile für sicherheitsrelevante Anwendungen geht, führt kein Weg an Kernmantelseilen vorbei. Diese speziellen Seile bestehen, wie der Name schon sagt, aus einem tragenden Kern und einem schützenden Mantel. Der Kern übernimmt die Hauptlast, während der Mantel vor Abrieb, UV-Strahlung und anderen äußeren Einflüssen schützt.
- Hohe Abriebfestigkeit dank des schützenden Mantels
- Große Bruchlast durch hochfeste Materialien im Kern
- Gute Flexibilität und Handhabung
- Lange Lebensdauer bei sachgemäßer Verwendung und Lagerung
Für den Kern und Mantel können verschiedene Materialien wie Polyamid, Polyester oder hochmoderne Fasern wie Dyneema® zum Einsatz kommen. Je nach Kombination lassen sich spezielle Eigenschaften wie geringe Dehnung oder besonders hohe Bruchlasten erzielen.

Schaubild zur Einordnung der Seiltypen (Quelle: edelrid.com)
Hinweise zur richtigen Seilauswahl
Für Ihre Sicherheit ist es wichtig, das passende Seil für Ihre Arbeit auszuwählen. Sowohl dynamische Seile (EN 892) als auch rein statische Seile sind für den Seilzugang ungeeigneten. Verwendung finden deshalb nur halbstatische Kernmantelseile gemäß EN 1891 Typ A, da diese eine genaue Positionierung zulassen und über genügend Sicherheitsreserven für die täglichen Aufgaben eines Industriekletterers verfügen. Hierbei werden meist Seile mit einem Seildurchmesser von 10 mm – 11 mm gewählt, da diese mit den meisten gängigen Abseilgeräten kompatibel sind.
Wenn Sie lange Abseilfahrten planen, z.B. von Windkraftanlagen oder hohen Türmen, sind Seile mit geringer Dehnung von Vorteil. Bei kürzeren Abseilfahrten von 20-50 Metern ist der Unterschied in der Seildehnung (z.B. 2% vs. 4%) kaum spürbar. Doch bei langen Abseilfahrten von 100-180 Metern kann sich eine höhere Dehnung bemerkbar machen und das Aufsteigen am Seil erschweren oder ein genaues Anfahren des Arbeitsplatzes erschweren. Daher empfehlen wir für lange Abseilfahrten Seile mit möglichst geringer Dehnung zu verwenden, um Ihre Arbeit ergonomisch und effektiv zu gestalten.
Bruchlast, Abriebfestigkeit und Co.
Neben dem Durchmesser gibt es noch andere wichtige Eigenschaften, die ein gutes Seil für Höhenarbeiten ausmachen. Dazu zählen insbesondere die Bruchlast, die Abriebfestigkeit, die Dehnung und die Knotbarkeit.
- Die Bruchlast ist die "Schmerzgrenze" eines Seils. Sie gibt an, welche Zugkraft ein Seil maximal aushalten kann, bevor es reißt. Nach der europäischen Norm EN 1891 müssen Kernmantelseile für Höhenarbeiten mindestens eine Bruchlast von 22 kN für Typ A und 18 kN für Typ B aufweisen. Je höher die Bruchlast, desto größer die Sicherheitsreserven.
- Die Abriebfestigkeit ist ein Maß für die Widerstandsfähigkeit des Seilmantels gegen Verschleiß durch Reibung. Sie wird vor allem durch die Wahl des Mantelmaterials beeinflusst. Polyester hat hier Vorteile gegenüber Polyamid. Durch spezielle Beschichtungen oder Imprägnierungen lässt sich die Abriebfestigkeit noch weiter steigern.
- Unter Dehnung versteht man die Längenänderung eines Seils unter Belastung. Dynamische Seile, wie sie etwa beim Klettersport verwendet werden, können sich um bis zu 40% dehnen, um Sturzkräfte abzufedern. Statikseile für Höhenarbeiten sind dagegen auf minimale Dehnung ausgelegt, typischerweise unter 5% bei Nennlast.
- Die Knotbarkeit schließlich beschreibt, wie gut sich ein Seil knoten lässt, ohne an Festigkeit zu verlieren. Sie wird durch die Geschmeidigkeit des Seilmantels und den Aufbau des Kerns beeinflusst. Eine hohe Knotbarkeit ist wichtig, da bei vielen Anwendungen Seilverbindungen über Knoten hergestellt werden.
Lebensdauer
Wie lange hält ein gutes Kernmantelseil? Wie bei der Meisten textilen PSA, attestieren die Hersteller den meisten Seilen eine max. Lebensdauer von 10-12 Jahren. Dabei ist die Nutzungsdauer auf max. 10 Jahre beschränkt. Natürlich handelt es sich bei diesen Werten um die theoretische max. Lebensdauer, den bei regelmäßiger Nutzung erreichen die Seile die sog. Ablegereife meist wesentlichen früher. So gibt der Hersteller Teufelberger an, dass um die maximale Nutzungsdauer erreichen zu können, die Seile max. 1 Woche pro Jahr genutzt werden sollten. Bei intensivem Gebrauch beschränkt der Hersteller Singing Rock beispielsweise die Nutzungsdauer auf ein Jahr. Wie lang ein Seil nutzbar ist, lässt sich also nicht pauschal sagen, jedoch hängt die absolute Lebensdauer von der Einsatzumgebung, der Häufigkeit des Gebrauchs, dem Klima und den Lagerungsbedingungen ab. Gerne überprüfen wir eure Seile, im Rahmen der jährlichen PSA-Prüfung, um sicherzustellen, dass diese noch für den Einsatz geeignet sind.
Seilmantel und Seilkern: Zwei unzertrennliche Partner
Um die gewünschten Eigenschaften zu erreichen, müssen Mantel und Kern eines Seils perfekt aufeinander abgestimmt sein. Für den Mantel gibt es zwei grundlegende Konstruktionsarten: geflochten und gewebt. Geflochtene Mäntel bieten die höchste Abriebfestigkeit und Flexibilität, sind aber in der Herstellung aufwendiger. Gewebte Mäntel sind glatter und oft leichter zu handhaben, jedoch nicht ganz so robust.
Auch der Kern kann unterschiedlich aufgebaut sein. Gängige Varianten sind der parallelgeflochtene Kern und der Litzenkern. Ersterer besteht aus vielen parallel verlaufenden Faserbündeln und bietet ein Höchstmaß an Festigkeit und Stabilität. Der Litzenkern dagegen setzt sich aus spiralförmig verdrillten Litzen zusammen, was die Flexibilität und Handhabung verbessert.
Welche Kombination von Mantel- und Kernkonstruktion die richtige ist, hängt vom Einsatzzweck ab. Für Statikseileanwendungen mit hohen Sicherheitsanforderungen sind parallele Faserkerne und geflochtene Mäntel die erste Wahl. Litzenkerne und gewebte Mäntel kommen eher bei Hilfsseilen und weniger kritischen Anwendungen zum Einsatz.
Die Bedeutung der europäischen Normen EN 1891: Sicherheit garantiert!
Kernmantelseile für Höhenarbeiten müssen in Europa der Norm EN 1891 entsprechen. Weiter oben auf dem Schaubild zur Einordnung haben wir bereits gesehen, dass diese unterteilt sind in zwei Leistungsklassen: Typ A und Typ B.
Typ A Seile erfüllen höhere Anforderungen an Festigkeit, Dehnung und Abriebfestigkeit. Sie sind für sicherheitsrelevante Anwendungen mit hohen Lasten geeignet, etwa beim Abseilen, Rettungseinsätzen oder Arbeitsplatzpositionierung, da sie über eine höhere Sicherheitsreserve verfügen. Industriekletterer verwenden ausschließlich Seile gemäß EN 1891 Typ A als Trag- und Halteseil.
Typ B Seile haben etwas geringere Leistungsmerkmale und sind für weniger kritische Aufgaben gedacht, bei denen geringere Belastungen auftreten. Sie kommen oft als Hilfsseile zum Einsatz. Seile gemäß EN 1891 Typ B sind leichter und flexibler als Seile gemäß EN 1891 Typ A, dafür aber auch weniger robust.
Unabhängig von der Leistungsklasse müssen alle Seile nach EN 1891 eine Mindestbruchlast von 22 kN (Typ A) bzw. 18 kN (Typ B) aufweisen. Zudem sind Anforderungen an die Dehnung, die Mantelverschiebung und das Schrumpfverhalten beim Nässen definiert. Regelmäßige Produktprüfungen durch unabhängige Stellen stellen sicher, dass die Normen eingehalten werden.
Fazit: Sicherheit beginnt bei der Wahl des richtigen Seils!
Wie dieser Überblick zeigt, ist die Wahl des richtigen Seils für Höhenarbeiten keine einfache Sache. Viele Faktoren wie Einsatzzweck, zu erwartende Belastungen, Umgebungsbedingungen und persönliche Vorlieben spielen eine Rolle, denn jedes Seil hat meist seine Stärken und Schwächen, je nach Anwendungsgebiet. Kennwerte wie Bruchlast, Abriebfestigkeit, Handlingeigenschaften, Seildehnung, Knotbarkeit, Lebensdauer stehen oft in einem Spannungsfeld zueinander. Ein gutes Allround-Seil wird also ein Kompromiss zwischen den verschiedenen wünschenswerten Eigenschaften darstellen, während ein spezialisiertes Seil nur bei wenigen Anwendungen glänzen wird.
Einen perfekten Alleskönner findet man also in der Regel nicht, doch für jede Anwendung gibt es mit Sicherheit das geeignete Seil. Wir bei zitras beraten euch gerne umfassend, markenunabhängig und Anwendungsbezogen, um gemeinsam mit Euch, das Beste Produkt für eure Bedürfnisse und Einsatzzwecke zu finden. Meldet euch, wir freuen uns auf ein anregenden Gedankenaustausch!
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